Mit einer "Erinnerungsoffensive" will die CDU-Landtagsfraktion für ein fundiertes Geschichtsbild der DDR sorgen. Die friedliche Revolution von 1989 sei zu kostbar, um sie durch "pseudo-spaßige DDR-Nostalgie-Shows zu entwerten", hatte Fraktionschef Jürgen Scharf gemahnt. Volksstimme-Redakteur Winfried Borchert fragte ihn nach Details.

Volksstimme: Herr Scharf, um was geht es bei Ihrem Vorstoß?

Jürgen Scharf: Die Beschäftigung mit der DDR-Geschichte ist ja nicht neu. 15 Jahre nach der Wende ist aber ein Punkt erreicht, wo das Geschehen der Wende in die jüngere Zeitgeschichte übergeht. Das ist Anlass, selbst Dinge neu zu reflektieren. Manches sieht man heute anders als zum Zeitpunkt, an dem dies noch frisch war. Bei manchen Älteren habe ich gleichzeitig den Eindruck, das in der DDR Erlebte verklärt sich ein bisschen.

Daneben geht es darum, geschichtliches Wissen an die jüngere Generation weiterzugeben. Wenn ich mir die Geschichtsbücher ansehe, steht darin über die DDR relativ wenig. Gleichzeitig höre ich von Vertretern der Opferverbände, Bund Stalinistisch Verfolgter und Vereinigung der Opfer des Stalinismus, dass sie als Zeitzeugen von westdeutschen Schulen mehr als von ostdeutschen Schulen angefragt werden. Das ist schade. Denn Geschichte kann nicht spannender vermittelt werden, als wenn Zeitzeugen berichten, die man obendrein befragen kann. Jugendliche haben heute doch ganz andere Fragen an Menschen als wir, die wir vieles selbst erlebt haben.

Volksstimme: Woran liegt es, dass Schulen mit dem Thema so zurückhaltend umgehen?

Scharf: Das kann ich von außen nicht beurteilen. Vielleicht verwechseln manche Lehrer Unpolitischsein und Überparteilichkeit. Schule soll keine Parteipolitik betreiben, aber sie soll junge Leute für Politik interessieren.

Vielleicht bedarf es insgesamt nur eines Denkanstoßes. Wenn unser Vorstoß dazu beiträgt, wäre das Ziel schon erreicht. Die Rahmenrichtlinien für die Schule bieten schließlich genügend Spielräume, sich dem Thema auf verschiedenen Wegen zu nähern. Das ist nicht nur eine Aufgabe des Geschichtsunterrichts, genau so gut kann das fachübergreifend vom Sozialkunde- und dem Geographielehrer behandelt werden.

Volksstimme: Was könnten junge Menschen heute aus der DDR-Geschichte lernen?

Scharf: Das entscheidende Erlebnis für 17 Millionen Menschen war das Eingesperrtsein. Die persönliche Freiheit wird von den meisten Menschen heute als etwas Selbstverständliches betrachtet. Viele sind sich nicht bewusst, was für ein hohes Gut diese Freiheit ist und dass es sehr wichtig ist, es zu schützen. Am Beispiel DDR lässt sich außerdem darstellen, wie es sich auf den einzelnen Menschen, aber auch auf eine Gesellschaft auswirkt, wenn die persönliche Freiheit eingeschränkt wird. Heute ist kaum noch vorstellbar, dass jemand wegen politischer Äußerungen eingesperrt wurde.

Aber zum Glück waren die Folgen offener Meinungsäußerungen nicht immer so einschneidend. Jeder, der es selbst erlebt hat, weiß aber um die kleinen, alltäglichen Gewissensnöte zwischen Anpassung und Verweigerung, dem Wunsch nach politischer Mitgestaltung, ohne zugleich zum Mitläufer zu werden.

Volksstimme: Die CDU ist nach der Wende oft dafür kritisiert worden, dass sie zwar kritisch mit der SED-Geschichte und ehemaligen SED-Mitgliedern umgegangen ist, die einstigen Blockparteien Bauernpartei und Ost-CDU aber unreflektiert übernommen habe. Gibt es jetzt auch ein neues Bild auf die eigene Parteigeschichte?

Scharf: Das Bild der Rolle der CDU in der DDR müssen wir nach 15 Jahren Deutscher Einheit nicht grundlegend ändern, wir sind damit in den vergangenen Jahren auf verschiedenen Veranstaltungen durchaus selbstkritisch umgegangen. Solche Diskussionen fanden nicht immer das öffentliche Interesse. Aber fest steht, die CDU der DDR hat als gleichgeschaltete Partei das System mit getragen und sich mit schuldig gemacht. Mit getragen heißt auch, dass eine Anzahl von CDU-Mitgliedern vor der Wende auch deshalb in unserer Partei gewesen ist, weil sie überzeugt war, der Sozialismus sei eine gute Sache. Ich habe großes Verständnis dafür, dass etliche dieser Mitglieder nach der Wende gesagt haben, die CDU sei nicht mehr ihre Partei und ausgetreten sind. Das ist eine ehrliche Haltung.

Bereits 1995 haben wir als Magdeburger CDU außerdem unsere Position zur Aufnahme ehemaliger SED-Mitglieder geklärt. Ich war ein Verfechter der Meinung, dass es, wenn wir ehemalige SED-Mitglieder aufnehmen, keine Mitglieder erster und zweiter Klasse geben darf. Seitdem gilt: Wer rein darf, darf auch alles werden.

Volksstimme: Nach ihrem Vorstoß der "Erinnerungsoffensive" hat die SPD Ihnen vorgeworfen, die CDU spreche mit "gespaltener Zunge", weil Sie im Landtag jüngst gegen die Bereitstellung von 150000 Euro zur Finanzierung von Dokumentationszentren zur DDR-Geschichte gestimmt haben. Ein zutreffender Vorwurf?

Scharf: Ich bedaure, dass der SPD-Abgeordnete Felke ein Kampffeld eröffnet, auf dem wir uns im Landtag bisher immer einig gewesen sind . Ich habe mich vergewissert, dass die Finanzierung der Dokumentationszentren abgesichert ist. Dafür sind auch Gelder aus dem SED-Entschädigungsfonds avisiert. Der Vorwurf ist also, gelinde gesagt, überflüssig.

Volksstimme: Noch einmal zur Erinnerungsoffensive: Welchen Beitrag wollen Sie als Landtagsabgeordneter selbst dazu leisten?

Scharf: Ich würde sehr gern selbst noch öfter mit Schülern über das Thema "Leben in der DDR" diskutieren. Das habe nicht nur ich in den vergangenen Jahren getan, sondern auch viele Abgeordnete aller anderen Parteien aus dem Landtag. Ich wünschte mir, dass die Schulen von diesem Angebot noch mehr Gebrauch machen würden. Neben dem Thema Geschichte bietet das für die Schüler auch Gelegenheit, selbst mit einem Abgeordneten zu sprechen und ihn mit politischen Fragen zu löchern.

Ein Beispiel guter Streitkultur könnten wir abgeben, wenn zwei oder mehr Abgeordnete ihre Argumente zu einem bestimmten Thema vortragen und anschaulich zeigen, dass man zwar politischer Konkurrent und Gegner sein kann, ohne aber zugleich Feind zu sein. Auch damit ließe sich ein Bezug zur Geschichte herstellen.

Bekanntlich wurde in der DDR zwischen Gegnerschaft und Feindschaft nicht unterschieden.
  (MRSA)