Die Ehe neu definiert, eine Entscheidung mit Langzeitwirkung

Magdeburg, September 2017

Der Bundestag hat auf seiner Sitzung am 1. Juli 2017 mit der Änderung des § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB die Ehe neu definiert. Künftig heißt es: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“

Im CDU-Grundsatzprogramm und auch im 2013 beschlossenen CDU-Landesprogramm heißt es: „Wir respektieren die Entscheidung von Menschen, die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Lebensentwurf verwirklichen. Wir erkennen an, dass auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Dies gilt nicht nur für nichteheliche Partnerschaften zwischen Frauen und Männern. Dies gilt auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. Eine Gleichstellung mit der Ehe zwischen Mann und Frau als Kern der Familie lehnen wir jedoch ebenso ab wie ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare.“

Der EAK-Bundesvorsitzende Thomas Rachel MdB führte mehrfach aus (u.a. auf der 50. EAK-Bundestagung 2015), dass der EAK in der grundgesetzlich geschützten Ehe zwischen Mann und Frau auch in Zukunft die beste und verlässlichste Grundlage für das Gelingen von Familie sehe. Er würdigte auch andere verlässliche Formen des Zusammenlebens. Die Möglichkeit, Nachwuchs zu bekommen, mache die Ehe jedoch einzigartig.

Damit war von CDU-Seite her eigentlich alles gesagt. Eine Meinungsänderung hätte zumindest eine Debatte und eines Beschlusses bedurft, ob das CDU-Grundsatzprogramm geändert werden solle.

So manches CDU-Mitglied, so auch ich, wird sich fragen, ob es sich zukünftig noch lohnt, Zeit und Kraft in die Erarbeitung und Diskussion von Parteiprogrammen zu investieren.

Nun hat der Bundestag entschieden. Dieser Beschluss wird die Stellung von Ehe und Familie in Deutschland nicht kurzfristig, aber langfristig entscheidend verändern. Die juristisch interessante Frage, ob diese Gesetzesänderung dem Grundgesetz widerspräche, ist in meinen Augen zweitrangig. Gegebenenfalls wird sich jetzt auch eine Mehrheit finden, das Grundgesetz entsprechend zu verändern, ja es ist auch möglich, dass das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Rechtsprechung aufgeben und von sich aus die Ehe neu bestimmen wird. Solche Richtungswechsel hat es in anderen Rechtsfragen in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben. Es kann auch sein, dass das BVG in dieser Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches nur eine definierende Ausgestaltung des Artikel 6 Abs. 1 GG und nicht einen Eingriff in dessen Schutzbereich sieht. Als Schöpfer neuen Verfassungsrechts habe ich das BVG insbesondere bei europarechtlichen Fragen im Blick, die die Grundgesetzväter weder bedacht, noch irgendwo Anknüpfungspunkte dafür geschaffen haben. 

Die Entscheidung des Bundestages ist wohl die Konsequenz jahrzehntelanger gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Ehe zwischen Mann und Frau mit dem Ziel, Kinder zu zeugen und zu erziehen und ein Leben lang füreinander einzustehen, ist wahrscheinlich noch immer die Leitvorstellung der meisten in Deutschland lebenden Personen. Die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland zeigt aber auch ein deutlich vielfältigeres Bild menschlichen Zusammenlebens. Und jeder wird genügend Beispiele kennen, in denen diese Lebens- und Vertrauensgemeinschaften in hoher Verantwortung füreinander gelebt werden. Die Gretchenfrage stellt sich dann oft erst in Krisensituationen. Vieles ist dann rechtlich nicht oder nicht klar genug geregelt, und ein Trennungsstreit geht zu Lasten des schon schwächeren Partners aus. Diese Schwierigkeit hätte man auch anders beseitigen können:

In Frankreich gibt es z.B. seit 1999 den zivilen Solidaritätspakt PACS, (Pacte civil de solidarité) der allen unverheirateten Paaren, ob heterosexuell oder homosexuell, einen Rechtsstatus verleiht. Der zivile Solidaritätspakt ist dabei inzwischen anscheinend in Frankreich zu einer normalen Form des Zusammenlebens geworden. Auch der Schweizer Bundesrat hat im April 2015 in seinem Bericht zum Familienrecht die Einführung des PACS als Alternative zur Ehe in der Schweiz vorgeschlagen.

Es hätte übrigens in der Vergangenheit auch der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt, für andere Vertrauensgemeinschaften als die Ehe, speziell angepasste Schutzziele zu definieren und umzusetzen. Dann hätte es keinen der Privilegierung der Ehe mit anderen Lebensgemeinschaften abträglichen Weg der schrittweisen Gleichstellung mit ihr gegeben. Aber auch die EKD und die einzelnen evangelischen Kirchen haben den Gesetzgeber zu diesem Weg nie ermuntert.

Nachdem bereits in Folge des Lebenspartnerschaftsgesetzes seit 1. August 2001 eine Vielzahl von Folgeänderungen beispielsweise im Erbschafts- und Grunderwerbsteuer-, Beamten- und Adoptionsrecht, wie auch im gesamten Sozialrecht notwendig waren, werden sich nun der deutschen Gesellschaft und damit dem Gesetzgeber eine Fülle neuer Probleme eröffnen, die bisher, zumindest öffentlich, wenig bedacht wurden. Einige Beispiele:

Das Verhältnis von Ehe- und Abstammungsrecht muss teilweise neu geordnet werden, freilich auch ohne die erfolgte Neudefinition der Ehe. So ist zwar für Kinder, die in einer Ehe von Mann und Frau geboren werden, per Gesetz der Ehemann zweites rechtliches Elternteil, unabhängig von der biologischen Vaterschaft. Dieses gilt jedoch nicht für die Ehefrau der Mutter. Dieses Problem ist eingebettet in die kompliziertere Fragestellung, wie wird die Abstammung von Kindern definiert, die per Samenspende oder durch die (noch in Deutschland verbotene) Eizellspende oder Leihmutterschaft gezeugt wurden? In bestimmten Konstellationen muss durch die Übertragung von Erbgut aus den Mitochondrien von einer Elternschaft von drei Personen ausgegangen werden. Ein Drei-Eltern-Baby trägt die DNA dreier Menschen in sich: Sein Erbgut stammt zu Teilen von der Frau, die es geboren hat, von einer Eizellspenderin sowie vom Vater. Ich erwarte, dass Rechtsansprüche auf Leistungen der Reproduktionsmedizin verstärkt vorgetragen werden. „Durch die moderne Fortpflanzungsmedizin werde der Rückgriff auf die genetische Abstammung eines Kindes für seine Zuordnung zu seinen Eltern nicht mehr in allen Fällen gerecht, erklärte die Vorsitzende des Arbeitskreises [d.h. die Vorsitzende der von Justizminister Heiko Maas berufene Expertenrunde J.S.], die frühere Bundesrichterin Meo-Micaela Hahne. Wichtig sei aber, dass Wunscheltern, die ihr Kind etwa durch Samen- oder Embryospende bekommen hätten, für das so gezeugte Kind vor dem Gesetz ebenso verantwortlich seien wie natürliche Eltern.“(1)

Das Verhältnis von ziviler Trauung zu kirchlicher Trauung ist zwar im Moment rechtlich klar geregelt. Das Hin und Her in kurzer Zeit deutet aber auf durchaus vorhandene Spannungen und Unsicherheiten hin. Zur Erinnerung: Seit dem Kulturkampf Bismarcks und der Einführung der Zivilehe war diese von 1875 bis Ende 2008 zwingende Voraussetzung für den erlaubten Vollzug einer kirchlichen Eheschließung. Die kirchliche Trauung hatte nach diesem Zeitpunkt überhaupt keine zivilrechtliche Relevanz mehr und war darum auch nicht mehr staatlichen Beschränkungen unterworfen. Die evangelische Kirche hat die kirchliche Eheschließung ohne vorherige standesamtliche Eheschließung untersagt; in der katholischen Kirche ist sie in Ausnahmefällen möglich. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen (2) wird aber „eine religiöse oder traditionelle Handlung, die darauf gerichtet ist, eine der Ehe vergleichbare dauerhafte Bindung zweier Personen zu begründen, von denen eine das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat“ wieder verboten. Die Irrelevanz der religiösen Trauung für die zivilrechtliche Ehe ist in diesem Fall also wieder aufgehoben. Man war sich der Wirkmächtigkeit rein religiös geschlossener Ehen oder vergleichbarer Verträge wohl doch nicht so sicher.

Was kann dieses heißen? In Deutschland gilt in Auslegung von Art. 137ff. WRV ein besonderes partnerschaftliches Verhältnis von Kirche und Staat. Es ist deshalb nicht gut, wenn kirchliches und staatliches Recht zu weit auseinanderfallen. Es betrifft die selben Menschen.

Innenminister Thomas de Maizière führte hierzu in der der Zeitung „Die Zeit“ aus: „Das Verhältnis von Religion und Staat war über Jahrhunderte problematisch, deshalb hat die Reformation auch einen blutigen Bürgerkrieg zur Folge gehabt. Bis heute haben die Kirchen selbst gesetzte Regeln, die nicht voll übereinstimmen mit staatlichem Recht. Dazu gehört ein Eheverständnis, das Scheidung eigentlich nicht vorsieht. Dazu gehört ein eigenes Dienstrecht. Das ist in Ordnung, solange sie ihre Regeln dem Staat nicht aufzwingen wollen und die staatlichen Regeln voll akzeptieren […] Der fundamentale Unterschied ist, dass die Kirchen in Deutschland heute nie den Anspruch erheben, ihre Regeln stünden über staatlichem Recht. Für Teile des islamischen Rechts ist das anders. Der demokratische Staat muss darauf bestehen, dass sein Recht Vorrang hat.“ (3)

Aber in der Bibel lesen wir auch in Apg 5,29b „Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“  Spannungen sind also jederzeit möglich.

Jürgen Scharf
Vorsitzender des EAK Sachsen-Anhalt

Zitierte Quellen:

1. Berliner Morgenpost 5.7.2017, Vorschläge einer Expertenrunde im Auftrag von Justizminister Heiko Maas (SPD)
2. Bundestagsdrucksache 18/12086 vom 25.04.2017
3. Die Zeit Nr. 22 vom 24. Mai 2017 S. 50