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CDU-Programmarbeit als Selbstverständigung und Angebot

 

(Einige Aspekte der CDU-Programmarbeit in ihrer Gründungsphase, in der DDR

und 1989/90)

 

(schriftliche Fassung eines Vortrages auf einer Veranstaltung des CDU-Kreisverbandes Magdeburg am 7.Oktober 2000)

 

Bearbeitungsstand vom 09. Oktober 2000

 

 

Anrede,

 

die CDU ist immer eine Programmpartei gewesen und wird immer eine Programm­partei sein. Daher ist es ein untrügliches Zeichen für die Qualität der Arbeit der CDU, inwiefern in ihren Reihen tatsächlich eine programmatisch inhaltliche Arbeit ge­leistet wird, die sich nicht nur in Tagespolitik erschöpft.

 

Anrede,

 

wagen wir einen kurzen Blick zurück. Im Gründungsaufruf der Christlich-Demokra­tischen Union Deutschlands vom 26. Juni 1945 in Berlin heißt es:

„Das Notprogramm für Brot, Obdach und Arbeit geht allem voran. Dabei ist es uner­läßlich, schon um für alle Zeiten die Staatsgewalt vor illegitimen Einflüssen wirt­schaftlicher Machtzusammenballungen zu sichern, daß die Bodenschätze in Staats­besitz übergehen. Der Bergbau und andere monopolartige Schlüsselunternehmun­gen unseres Wirtschaftslebens müssen klar der Staatsgewalt unterworfen werden.

 

Wir bejahen das Privateigentum, das die Entfaltung der Persönlichkeit sichert, aber an die Verantwortung für die Allgemeinheit gebunden bleibt.

 

Industrien, Handel und Gewerbe sind zu entscheidender Mitarbeit am Wiederaufbau berufen und deshalb planmäßig zu fördern. Wir fordern vollen Schutz und Ausbau­möglichkeit für das selbständige Handwerk, das nach Zerstörung vieler industrieller Unternehmungen vor einer neuen, großen Aufgabe steht.

 

Eine umfassende ländliche und gärtnerische Siedlung muß unter weitgehender Heranziehung des Großgrundbesitzes einer möglichst großen Zahl von Deutschen den Zugang zu eigener Scholle und zu Selbständiger Arbeit eröffnen. Die wirtschaft­liche Sicherung eines freischaffenden Bauerntums und die Ansiedlung der Landar­beiter sind unerläßlicher Bestandteil jeder dauerhaften Aufbaupolitik und verlangen den stärksten Ausbau des ländlichen Genossenschaftswesens.

 

Den christlichen und demokratischen Lebensgesetzen in Staat und Gesellschaft ent­spricht der freie Zu­sammenschluß aller Schaffenden. Wir begrüßen daher die ein­heitliche Gewerk­schaftsbewegung der Arbeiter und Angestellten zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rechte. Wir erkennen die Kraft an, die von der Arbei­terschaft in das Volksganze einströmt.“

 

Anrede,

 

die CDU als einzige Partei, die nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde, be­gann ihre politische Arbeit mit einem Aufruf, der schon Grundlinien ihrer künftigen Politik beinhaltete. Im Gründungsaufruf findet man schon folgende Hauptgedanken

 

-         die Ablehnung des Klassendenkens und der sozialistischen Idee des Klassen­kampfes

 

-         die Ablehnung eines allmächtigen zentralistischen Einheitsstaates

 

-         das Streben nach einer Volkspartei für alle gesellschaftlichen Gruppen

 

-         der gesellschaftliche Aufbau auf der Grundlage der vorhandenen gesellschaft­lichen Gruppen nach dem Subsidiaritätsprinzip, wobei die Familie als Urzelle der Gesellschaft die entscheidende Grundlage bildet.

 

Anrede,

 

interessant ist, daß schon im Gründungsaufruf das Bemühen um einen gerechten Interessenausgleich zwischen Arbeit und Kapital eine wichtige Rolle spielt. Das Rin­gen, hier nach einem klaren Konzept zu kommen, pflanzt sich über die folgenden Jahrzehnte fort und prägt bis heute unsere gesellschaftspolitische Diskussion. Für die Gründungsväter war klar: Die Arbeitgeber sollten zu einer der Ar­beitsleistung und den Bedürfnissen der Arbeiter entsprechenden Belohnung und Be­handlung verpflichtet werden. Privateigentum wird bejaht, jedoch die Sozialpflichtig­keit des Eigentums schon benannt. Interessant ist, daß ange­sichts der Erfahrungen aus der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus gefordert wird, monopolartige Schlüsselunternehmungen unseres Wirtschafts­lebens der Staatsgewalt zu unter­werfen.

 

Einen wichtigen programmatischen Schub erhielt die CDU durch die ihre Gründung als Bundespartei 1950, durch die Fassung des ersten Bundesprogramms 1953 in Hamburg und durch das Grundsatzprogramm 1978 in Ludwigshafen. Im Lichte der Wiedervereinigung Deutschlands und der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung entstanden dann 1991 das Dresdner Manifest und 1994 ein erneuertes Grundsatzprogramm.

 

Anrede,

 

In der sowjetischen Besatzungszone durchlebte die CDU eine stürmische Zeit. Gleich mehrfach wurden Funktionsträger von den Sowjets ausgetauscht. Dennoch steckte die Gleichschaltung der Parteien im ‘antifaschistischen Blockausschuß’ noch in den Kinderschuhen. Ein eigenständiger, programmatisch fundierter Weg der Ost-CDU schien möglich. Von 1945 bis zu seiner Absetzung 1947 führte Jakob Kaiser die CDU in der sowjetischen Besatzungszone. Er galt als Vertreter eines christlichen Sozialismus - einer religiös begründeten Theorie höherer Wohlfahrt. Wenn man sich die Gedanken dieser politischen Haltung heute betrachtet, erkennt man Parallelen zu linken sozialdemokratischen Positionen in der Gegenwart. Uns muß heute aber klar sein, daß erst der Zwang zur Anpassung die Idee eines christlichen Sozialismus in der DDR zu Grabe trug. Kaiser wurde so 1947 abgesetzt, weil er den Marshall-Plan begrüßte und die SED als undemokratisch ablehnte.

 

Anrede,

 

machen wir nun einen geschichtlichen Sprung in die DDR-Wirklichkeit, wie sie sich darstellte, nachdem der Führungsanspruch der SED und die Gleichschaltung der Blockparteien durchgesetzt waren

 

-Zitate aus den Anlagen 1, 2 und 3-

 

Anrede,

 

Sie sehen, mit Programmdiskussion kann man dieses nicht mehr bezeichnen. Die SED wußte, indem sie eine Programmdiskussion unter und in den Blockparteien verbot, daß sie damit ihre Lebensnerven traf und zerstörte. Was blieb eigentlich? Jeg­liche programmatischen Äußerungen von Blockparteien, und damit auch der CDU, hatten sich zwei Prinzipien zu unterwerfen

 

1.  Anerkennung der sogenannten führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer             selbsternannten marxistisch-leninistischen Vorhut der SED.

 

2.  Anerkennung der Grundaussagen des Parteiprogramms der SED mit seiner     Hauptaufgabe der „ständigen Erhöhung des materiellen und kulturellen             Lebensniveaus des Volkes“.

 

Offizielle Verlautbarungen der Ost-CDU konnten daher nur darstellen, wie die Partei und ihre Mitglieder zur Erfüllung der Hauptaufgabe beitrugen. Dieser spezifische Beitrag war gewollt. Die Grenzen waren jedoch klar gezogen. Der CDU und ihren Mitgliedern wurde dabei zugestanden, daß sie sich nicht auf den dialektischen und historischen Materialismus als Begründungslinie verpflichten lassen mußten. Damit hatte es sich aber auch schon. Man findet daher sehr viele Beiträge von CDU-Mitgliedern auf allen Ebenen, unter dem Bibelvers: „Suchet der Stadt Bestes dahin ich Euch habe lassen wegführen und betet für sie zum Herren; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's euch auch wohl.“ (Jeremia,

Kapitel 29, Vers 7) gesetzt.

 

 

Anrede,

 

in vielen Interviews nach 1990 kann man nachlesen, daß langjährige CDU-Mitglieder angeben, auf diese Weise einen „eigenständigen Akzent“, einen „eigenen Beitrag“ geleistet zu haben. Freilich wurde auf Ortsverbandsebene - und so manches Mal auch darüber hinaus - freimütig und offen über die Schwächen des sozialistischen Alltags gesprochen, und es blieb immer das unbefriedigende Gefühl, nur ein bißchen an den Symptomen doktern zu können, jedoch die Grundlagen des Staats nicht an­rühren zu dürfen und zu können.

 

 

Anrede,

 

es gab keine Programmarbeit zur DDR-Zeit in der CDU, aber es gab natürlich in vielfältigen Diskussionsbeiträgen immer wieder den Versuch, die lebenswichtigen Fragen der Gesellschaft in die öffentliche Diskussion einzubringen. Der Spielraum, was öffentlich sagbar war, mußte immer neu ertastet werden, und es gibt genügend tragische Beispiele von Personen, die diese Grenzen überschritten haben und sich anschließend wegen Staatsverleumdung oder staatsfeindlicher Hetze vor dem Ge­richt verantworten mußten, und auch drastische Strafen zu erleiden hatten.

 

Dieses alles ist mir nicht passiert. Ich will aber durchaus für mich reklamieren: Zum Beispiel auf einer Tagung des Präsidiums des Hauptvorstandes der CDU mit Ange­hörigen kirchlicher Räte, Synodalen und Mitarbeitern in Kirchengemeinden am 2. September 1985 in Burgscheidungen in einem Diskussionsbeitrag zum Thema „Erziehung zum Frieden!“ auf die Gefahren der Militarisierung der Gesellschaft auf­merksam gemacht zu haben.

 

-Zitate aus Anlage 4-

 

Anrede,

 

 

Übrigens beinhaltet dieser Beitrag Elemente einer Rede, die ich am 24. 3. 1983 vor der Stadtbezirksversammlung Magdeburg-Südost gehalten habe, in deren Folge von der SED-Bezirksleitung meine sofortige Abberufung als Abgeordneter ge­fordert wurde. Es war also durchaus so, daß an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten das gleiche einmal bestraft und einmal ungestraft gesagt werden konnte.

 

-Zitate aus Anlage 5-

 

Anrede,

 

Programmdiskussion war dieses alles nicht. Ein entscheidender Impuls im Vorfeld der Programmdiskussion ging von der Ökumenischen Versammlung für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ aus, die in Etappen von 1987 bis 1989 tagte, und in ihrem Schlußdokument letztendlich wichtige Weichen­stellungen auch für CDU-Programmarbeit leistete.

 

Auch im Kreisverband Magdeburg wurde diese Diskussion geführt, und ich selber kann mich noch gut erinnern, daß zum Beispiel auf Veranstaltungen gegenüber dem dama­ligen stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Wolfgang Heyl diese Diskussion immer wieder eingefordert wurde. Ich selber forderte in einem Brief vom Oktober 1988 Herrn Heyl auf, „die CDU möge wieder ein eigenes Parteiprogramm entwickeln. Die Parteiarbeit der CDU leidet - besonders an der Basis - darunter, daß viele Vor­stel­lungen über den Weg, den unsere Gesellschaft gehen soll, nicht gezielt aufge­griffen, verallgemeinert und zur Willensbildung der CDU erhoben werden (können). Das Be­dürfnis nach grundlegenden, aber auch verbindlichen Diskussion, ist weithin vorhan­den und nimmt angesichts der Notwendigkeit, auch unsere Gesellschaft um­zuge­stalten, von Tag zu Tag zu.

 

Die CDU könnte mit dieser breit angelegten Aussprache über alle wichtigen Bereiche unserer Gesellschaft, die in ein Parteiprogramm ein­mündet, wieder Profil und damit auch an engagierten Mitstreitern gewinnen. (Sie wissen wahrscheinlich besser als ich, daß Ortsgruppenprogramme, Entschließungen und Vorschläge an staatliche Organe das Fehlen eines Parteiprogramms nicht aus­gleichen können.) Die zusam­menfassende Meinungsbildung müßte natürlich durch eine zu berufene Programm­diskussion begleitet werden, die Beschlußfassung durch einen Parteitag erfolgen. Die Zeit ist reif für diesen Vorschlag.“

 

Die Antwort vom 26. Oktober 1988 lautete: „Hiermit bestätigen wir den Eingang Ihres Briefes an Unions­freund Wolfgang Heyl .....

Da Unionsfreund Heil gerade von einer Kur zurückgekehrt ist, bitten wir Sie um Ver­ständnis, daß die Antwort auf Ihr Anliegen erst in einigen Tagen erfolgen kann.“ Dieses erfolgte nie.

 

Auf der sogenannten „Wolmirstedter Begegnung“ am 9. Februar 1989 habe ich diese Forderung in Gegenwart von Herrn Heil erneut erhoben. Die Zeit war offensichtlich noch nicht reif.

 

Die LDPD begann im Sommer ihre programmatische Diskussion. Der CDU-Haupt­vorstand blockte weiterhin erfolgreich ab.

 

Anrede,

 

am 10. September 1989 wurde der Brief aus Weimar veröffentlicht. Dieser ist hinrei­chend bekannt, so daß ich an dieser Stelle mir Auszüge aus diesem Brief erspare. Was Sie aber vielleicht nicht kennen, ist ein Informationsbrief zum „Brief aus Wei­mar“ vom 10. 10. 1989 von Dr. G. Müller, dem späteren Landtagspräsidenten

Thüringens.

 

„Charakteristische Reaktionen aus Weimar“.

 

l Der ,Brief aus Weimar’ ist Teil eines Meinungsbildungsprozesses, der an der Ba­sis der Partei schon seit längerem bekannt ist. Es erreichen uns Klagen wie: Wir ha­ben uns schon früher mit ähnlichen Gedanken und Vorschlägen an die Sekretariate der übergeordneten Parteivorstände gewandt. Dort wurden wir jedoch gar nicht ernst genommen bzw. beschwichtigt. In einigen Stellungnahmen heißt es sogar: Wir er­hielten noch nicht einmal eine Antwort. Ein Unionsfreund zog den Schluß: Der Wei­marer Brief, die mit ihm verbundene Diskussion, sollten dazu beitragen, die ,verstopften Kommunikationsröhren von unten nach oben’ zwischen Mitgliedschaft und Parteileitung wieder gängig zu machen.

 

l In diesem Zusammenhang hat uns sehr bewegt, was ein hochverdienter Unions­freund an ein Mitglied der Parteileitung schrieb: ,Es ist ja nun leider nicht so, daß Ihr in der Parteileitung auf das gehört habt, was Euch von verantwortungsbewußten Unionsfreunden intern und unter Einhaltung der Subordination gesagt wurde ... Nun kommen die Leute auf, die das nicht mehr begreifen und nicht mehr wollen.’

 

l Immer wieder wurde zum Ausdruck gebracht: ,Ich war schon zum Austritt ent­schlossen, nach dem ,Weimarer Brief’ will ich es aber noch einmal versuchen.’ Aller­dings wurde uns auch zu verstehen gegeben, wenn Euer Vorhaben scheitern sollte, ziehen wir die persönliche Konsequenz des Parteiaustrittes.

 

l Manche Unionsfreunde meinen, der ,Brief aus Weimar“ sei gerade noch so recht­zeitig bekannt geworden, daß die CDU neben der LDPD bestehen kann. Die offenen Worte von Manfred Gerlach werden hoch geschätzt und als Vorbild auch für die lei­tenden Persönlichkeiten unserer Partei angesehen. Die inzwischen im ,Morgen’ ver­öffentlichten Leserbriefe haben Gerlachs Äußerungen noch unterstrichen.“

 

In Magdeburg wurde die Diskussion aufgegriffen, u. a. durch den „Brief aus Reform“ vom 2. 10. 89, den Wolfgang Löw schrieb. Herr Löw greift in seinem Brief im wesent­lichen die geführten Diskussionslinien auf, fordert den offenen Dialog auch in Mag­deburg. Ein kurzer Auszug: „Gesteht man Fehler ein, so ist das nicht nur eine menschliche Geste, sondern zugleich auch die Verpflichtung, daß man bereit ist, aus dem Fehler zu lernen. In einem auf Kooperation beruhendem System ist es die Ba­sis für Vertrauen. Dort, wo aber der Mut zur Wahrheit fehlt, gedeiht kein gegenseiti­ges Vertrauen. Wir liefern unseren Menschen, die mit ihren täglichen Erfahrungen den pausenlosen Erfolgsmeldungen aus unseren Medien konfrontiert werden, den Westmedien förmlich aus, denn das dort vermittelte Bild scheint ihnen realer.“

 

Auch er fordert die Wiederaufnahme der Programmdiskussion, freilich auch im so­zialistischen Vokabular. „Ich bin der Meinung, daß die CDU in diesem Programm voll die Kontinuität seit ihrem Gründungsaufruf bis heute wahren kann. Auf jeden Fall müssen wir die Losung - Die CDU ist eine Partei des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus - mit Leben erfüllen.“

 

Anrede,

 

der Stadtvorstand beschäftigte sich auf verschiedenen Sitzungen mit dieser Diskus­sion, und es kam auch zu entsprechenden Beschlüssen. Zum Beispiel wurde auf der Beratung des Stadtvorstandes am 30. Oktober 1989 beschlossen, den Brief aus Weimar zu begrüßen. Er stellte fest, daß er weitgehend die dargestellte Analyse, sowie die sich daraus ergebenen Schlußfolgerungen und Vorschläge, teile.

.

 

Anrede,

 

nebenbei gesagt, wurde auf gleicher Sitzung beschlossen, daß die CDU ihre Mitar­beit in den Arbeitsgruppen „Christliche Kreise“ in Magdeburg einstelle.

 

Anrede,

 

Nun kam auch die Programmdiskussion im Berliner Hauptvorstand in Gange.

 

 

Der Hauptvorstand formulierte in seinem Aufruf für einen demokratischen Neube­ginn am 22. November 1989, daß die CDU auf dem Wege der Erneuerung sei. Sie wolle auf neue Weise dem Volke dienen, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, d. h. die Anliegen des konzilianten Prozesses sollten die inhaltlichen Aufgaben, wie den öku­menischen Geist, seiner Arbeit bestimmen. Hauptforderungen waren

 

-         eine erneuerte Verfassung, die frei ist vom festgeschriebenen           Führungsanspruch und die im Frühjahr 1990 durch Volksentscheid           beschlossen werden soll,

 

-         ein Parteiengesetz,

 

-         ein Wahlgesetz und

 

-         eine sozialbestimmte und ökologisch verträgliche Wirtschaft, die auf der           marktorientierten Eigenverantwortung der Betriebe aller Eigentumsformen        beruht und die Lasten und Früchte der Arbeit gerecht verteilt, die erhöhte Sorge           für Sozialschwache, für Behinderte, Kranke und Alte und den verstärkten           Schutz der gesamten Schöpfung und allen Lebens, auch des ungeborenen,           sichert.

 

Man sieht an dieser Stelle wieder, daß insbesondere das Ringen um die rechte und gerechte Wirt­schaftsform, wie es schon im Gründungsaufruf von 1945 manifestiert ist, erneut aufge­nommen wird.

 

Anrede,

 

übrigens ist dieses vielleicht der interessanteste Teil der Programmarbeit. Die CDU errang von sich selbst Schritt für Schritt die Absage an alle neuen sozialistischen Experimente. Drei Zitate, die  in sehr kurzer zeitlicher Reihenfolge entstanden, mö­gen dieses belegen:

 

Ein Zitat aus „Positionen der CDU für Gegenwart und Zukunft“ (Entwurf zur Diskus­sion) vom 28. Oktober 1999 noch vom alten Sekretariat erarbeitet. Dort heißt es:

 

„Die CDU ist eine Partei des Sozialismus auf dem Erbe sozial fortschrittlicher Bewe­gungen sowie dem Martyrium christlicher Antifaschisten aufbauend, hat die CDU ihre historische Entscheidung für den Sozialismus vollzogen“.

 

Im zweiten Entwurf vom 25. November 1989 heißt es: „Die CDU bekennt ihre Mit­schuld an den gesellschaftlichen Deformationen, unter denen die Menschen in unse­rem Lande zu leiden haben. Sie tritt ein für eine humane und demokratische Gesell­schaft, wie sie nach christlichem Verständnis einem Sozialismus entspricht.“

Mit Abschluß der Programmarbeit wird dann allen sozialistischen Experimenten eine klare Absage erteilt.

 

 

Anrede,

 

Programmarbeit der CDU fordert auch immer Ehrlichkeit der eigenen Haltung ein. So wie der Gründungsaufruf von 1945 ein Schuldbekenntnis enthielt, so enthält die Prä­ambel zum schon erwähnten Programmentwurf der CDU „Die CDU ist eine Partei, deren Politik auf christlichen Grundwerten basiert, deren Mitglieder Demokraten sind und die Menschen aus einem breiten Spektrum unterschiedlicher konfessioneller sowie sozialer, liberaler und wertkonservativer Haltungen zu einer Union der Mitte zusammenführt. Sie gründet ihre Politik auf die humanistischen Werte der christ­lichen Tradition und der deutschen und europäischen Kultur. Sie strebt nach Ge­rechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, nach Freiheit und sozialer Sicherheit. Das christliche Menschenbild gibt ihr das Fundament und den Rahmen für verantwortliches Wollen und Handeln ....

 

Mit der Gründung der CDU und ihrem Gründungsaufruf vom 26. Juni 1945 wurde ein Neuanfang in der deutschen Parteiengeschichte gesetzt. Es galt, die Zerrissenheit der Demokraten in der Weimarer Republik zu überwinden, die den Machtantritt Hit­lers ermöglicht hatte. Die CDU bewahrte das Martyrium christlicher Antifaschisten und nahm das Erbe der christlich-sozialen und pazifistischen Bewegung des 19. Jahrhunderts auf. Über Trennendes hinweg praktizierte sie die Union der Konfessio­nen und die Gemeinschaft sozialer, liberaler und wertkonservativer Strömungen. Entgegen der Mahnung standhafter Demokraten, und trotz des mit großen Opfern verbundenen Widerstandes vieler verantwortungsbewußter Mitglieder, hat die CDU nach der Gründung der DDR den Weg in die wirtschaftliche soziale und moralische Katastrophe nicht verhindert. Vor dem deutschen Volk bekennen wir die Schuld un­serer Partei: Sie hat die Diktatur mitgetragen. Wir haben zu Unrecht und Machtmiß­brauch in der Öffentlichkeit geschwiegen. Die Führung unserer Partei hat das wache, freiheitliche und demokratische Gewissen der breiten Basis nicht beachtet. Die CDU hat heute ihre Mitschuld an der Fehlentwicklung der DDR zu tragen und zu bewälti­gen.“

 

Mit diesem Schuldbekenntnis konnte man schnell zur beschönigenden Formel kom­men, die auch ich hin und wieder benutzt habe, daß wir alle zugleich „Opfer und Tä­ter“ waren. Das heutige Mitglied des Bundestages und früherer stellvertretender Be­zirksvorsitzender der CDU in Berlin, Herr Engler, beansprucht wie so viele anderer für sich „etwas bewegt“ zu haben. Der Preis war natürlich „Wer helfen wollte, wurde unvermeidlich Mittäter. Die Bilanz muß jeder für sich selber ziehen.“

 

Anrede,

 

verwoben mit der Berliner Diskussion ging auch die Programmdiskussion in Magdeburg weiter.  So manche CDU-Mitglieder, die sich damals mit großem Engagement eingesetzt haben, stehen heute in Verantwortung in Stadt und Land. Einige, muß ich ehrlich sagen, haben wir aber auch auf dem Wege „verloren“. Programmdiskussion schärft das Gewissen, fordert auch den eigenen Standpunkt heraus, und so bin ich denjenigen nicht böse, die Anfang der 90er Jahre feststellten, die CDU im wiedervereinigten Deutschland ist nicht mehr ihre Partei, der Sozialismus, für den sie eingetreten sind, kommt nicht mehr vor. Wir wollen diese Meinungen achten und auch ehrlich anerkennen, daß Menschen in ihrer Biographie neue Erfahrungen machen, neue Erkenntnisse sam­meln und auch sich in ihren Anschauungen wandeln. Dieser Prozeß soll von nie­mandem als opportunistisch oder „wendehälserisch“ bezeichnet werden. Der Mensch ist ein intelligentes Wesen - zumindest manchmal -, und er hat das Recht und die Pflicht aus Erfahrungen zu lernen.

 

Anrede,

 

Heute müssen wir eine Programmdebatte unter anderen Vorzeichen führen. Wir haben uns dabei den Folgen der Globalisierung und Individualisierung zu stellen. Beides bedeutet neue Freiheit. Der Einzelne löst sich aus Traditionen und festgefügten Milieus. Dafür entstehen neue Zwänge. Mobilität und Flexibilität gehören dazu. Die Biografie eines Menschen wird zunehmend weniger von Schicht, Religion oder Geschlecht bestimmt. ‘Werte an sich’ scheint es nicht mehr zu geben. Die ‘Mobilitätspeitsche’ vertreibt Loyalität und Beständigkeit auch beim Wähler. Bindungsstreben und Opferbereitschaft auf Grund innerer Überzeugungen lassen spürbar nach. Eine Partei, die auf Grundwerten stützend agiert, steht vor dem Problem, daß diese an Resonanzfähigkeit beim Wähler verlieren. Die moderne Partei rückt so in das Spannungsfeld von Programmatik contra Pragmatismus.

 

In der Mediendemokratie wird Politik als Information und damit als Ware behandelt. Die Abnehmer dieser Ware sind wechselbereit und wollen umworben werden. Parteien fungieren zukünftig möglicherweise als reine Wahlkampfapparate, deren wichtigste Aufgabe es ist, die medienwirksame Auftrittsfläche für Spitzenkandidaten sicherzustellen. Die Zeit des Lagerdenkens ist vorbei. Die Wähler wollen es so.

Aber ist da nicht noch mehr? Wo ist die normative Kraftquelle einer Partei? Hat die Partei als politische Ideengemeinschaft ausgedient? Die Geschichte der CDU und meine persönlichen Erfahrungen in der Wendezeit führen mich zu der Erkenntnis: Grundwerte geben den Halt, den es braucht, um Geschichte zu gestalten! Modernität und Grundüberzeugung bilden keinen Anachronismus. Es gibt in der Politik eine Alternative zur Substanzlosigkeit. Wenn man die Bibel einmal als Grundsatzprogramm der Christen bezeichnet, kommt man schnell dahinter, daß sich mit einer neuen Verpackung nicht zwangsläufig der Inhalt ändern muß. Die Devise könnte also lauten: Flexibilität statt Beliebigkeit!

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

(Es gilt das gesprochene Wort.)


Anlage 1

 

Entschließung des 14. Parteitages der CDU

(12. bis 14. 10. 1977 Dresden)

 

Die Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) ist eine politische Partei, in der sich christliche Bürger der DDR mit dem Ziel vereinen, aus christlicher Verant­wortung und in demokratischer Verpflichtung für das Wohl des Menschen, für das Glück des Volkes und für den Frieden der Welt zu wirken.

 

Die CDU ist eine Partei des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus.

...

Die CDU fällt ihre politischen Entscheidungen im Interesse des werktätigen Volkes der DDR und der Stärkung der sozialistischen Staatengemeinschaft, im Interesse des Friedens und des sozialen Fortschritts in der Welt. Mit solchem politischen Han­deln wissen sich die christlichen Demokraten in Übereinstimmung mit den gesell­schaftlichen Konsequenzen christlicher Ethik, die für beständigen Frieden und das Wohl des Nächsten, für Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit zu wirken gebie­ten.

Die unverrückbaren Ausgangspunkte des politischen Denkens und Handelns der christlichen Demokraten sind

 

-         Treue zum Sozialismus,

-          vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Partei der Arbeiterklasse als

          der führenden Kraft der sozialistischen Gesellschaft und

-          Freundschaft zur Sowjetunion.

...

Das politische Wirken der CDU ist darauf gerichtet, den Sozialismus in unserem Lande planmäßig ausgestalten, ihn in der sozialistischen Staatengemeinschaft stär­ken und seine Position in der Welt festigen zu helfen; denn der Sozialismus ist der Humanismus unserer Epoche.

...

Die wachsende Rolle der Arbeiterklasse, ihr sich vertiefendes Bündnis mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, der Intelligenz und den anderen werktätigen Schichten und die sich festigenden Beziehungen zwischen ihnen erhöhen die Ansprüche an die gesellschaftliche Mitarbeit und Mitverantwortung jedes Bürgers. Das erfordert, in Grundfragen der Politik und Moral den Standpunkt der Arbeiterklasse zu vertreten, sich eine sozialistische Denk- und Lebensweise, Wesenszüge sozialistischen Be­wußtseins anzueignen und die politisch-moralische Einheit des Volkes auf der Grundlage der Ideale der Arbeiterklasse zu festigen.

 


Anlage 2

 

Grußadresse des Zentralkomitees der SED

an den 14. Parteitag der CDU

(Dresden 12. bis 14. 10. 1977)

 

Liebe Delegierte, verehrte Gäste!

 

Dem 14. Parteitag der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands entbiete ich im Namen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und auch persönlich freundschaftliche Grüße. Seinen Beratungen wünsche ich einen er­folgreichen Verlauf.

 

Ihr Parteitag findet in einer Zeit statt, die vom wachsenden Einfluß des Sozialismus auf den Gang der Weltgeschichte geprägt wird.

...

Auf der Erkenntnis dieses Zusammenhangs beruht der wertvolle und hochgeachtete Beitrag der Mitglieder Ihrer Partei zur weiteren Gestaltung der entwickelten soziali­stischen Gesellschaft, für die der IX. Parteitag der SED den Kurs festlegte. Damit haben in unserem Lande auch Bürger christlichen Glaubens, die sich auf der Grundlage ihrer humanistischen Gesinnung zu den Idealen der Arbeiterklasse be­kennen, als sozialistische Staatenbürger und als Bündnispartner der Arbeiterklasse Anteil am Aufbau des realen Sozialismus.

 

Anlage 3

 

Grußadresse an den Generalsekretär des Zentralkomitees

der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR,

Erich Honecker

(14. Parteitag, 12. bis 14. 10. 1977 Dresden)

 

...

Der IX. Parteitag der SED hat neue, unsere Zukunft bestimmende gesellschaftliche Aufgaben gestellt. In der weiteren planmäßigen Ausgestaltung der entwickelten so­zialistischen Gesellschaft und damit der Schaffung grundlegender Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus erblicken wir den Weg, das Wohl des Menschen und das Glück des Volkes immer besser zu verwirklichen. Täglich werden wir in der Überzeugung bestärkt, daß Sozialismus, Frieden, Demokratie, Freiheit, soziale Sicherheit und Geborgenheit für alle bedeutet; denn täglich aufs neue beweist unsere Gesellschaft Wirklichkeit, daß der Sozialismus als Gesellschaft des ganzen befreiten Volkes jeder anderen Ordnung überlegen ist. Erst im Sozialis­mus erhalten Christen Raum und Möglichkeit, ethische Anliegen ihres Glaubens in Übereinstimmung mit allen gesellschaftlichen Kräften zu praktizieren.

 

Ausgehend von diesen Erfahrungen, berät der 14. Parteitag der CDU die Aufgaben, die von den christlichen Demokraten in der neuen Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung zu lösen sind.

...


Anlage 4

 

 

Erziehung zum Frieden

(Tagung Bürgerpflicht und Christenpflicht, Recht der Jugend auf Zukunft-Anliegen christlicher Demokraten, Bericht über die Tagung des Präsidiums des Hauptvorstandes der CDU mit Angehörigen kirchlicher Räte, Synodalen und Mitarbeitern in Kirchgemeinden am 2. September 1985)

 

Magdeburg ist meine Heimatstadt. Sie wurde wie viele andere Städte im zweiten Weltkrieg fürchterlich zerstört. Dies ist für mich Geschichte, nicht unmittelbares Er­lebnis, aber ich stehe in dieser Geschichte und bin mit ihr in ihren Wirkungen verwo­ben. Heute mache ich selber Geschichte, indem ich mich an der Gestaltung dieser unserer Gesellschaft beteilige. Wir nennen das Mitverantwortung tragen wie ge­schieht da? Wir gehören als junge Christen unserer Partei zu Kirchen, „zu deren Programm im Prinzip die Sozialethik gehört“. (H. Blauert, Kirche inmitten der Her­ausforderung der Gegenwart)

 

Wir können also gar nicht anders, als diese Sozialethik zu verarbeiten, in gedankli­cher und praktischer Auseinandersetzung in unsere Parteiarbeit einzubringen und sie durch unsere gesellschaftliche Mitverantwortung zum Teil unserer Staatspolitik werden zu lassen. So leisten wir einen eigenen, unverwechselbaren Beitrag zur Ent­wicklung unserer Gesellschaft, wie dies auch auf dieser Tagung wieder deutlich wird. Daß dieser Beitrag möglich, ja auch gewünscht ist, wissen wir, daß notwendig ent­stehende Spannungen und Widersprüche auszuhalten sind, wissen wir auch. Diese Aussage gilt nicht nur für Gebiete, auf denen wir traditionell in der Verantwortung stehen. Sie gilt für alle Bereiche unserer Gesellschaft.

 

Im letzten Jahr absolvierte ich wieder einmal einen vierteljährlichen Reservisten­dienst. In Vorbereitung der Kommunalwahlen wurde ich als Abgeordneter gebeten, politische Schulungen durchzuführen. Dabei erläuterte ich unsere Kommunalpolitik, unsere Bündnispolitik, die Politik unserer Partei sowie meine Ansichten zur Brisanz der gegenwärtigen Rüstungsrunde. Die letzteren sind wesentlich von kirchlichen Stellungnahmen beeinflußt. Mir wurde für diese Schulungen vor Soldaten und Unter­offizieren gedankt, weil Sachlichkeit und Offenheit politische Klarheit und Motivation fördern.

 

Ich möchte noch etwas auf die Erziehung zum Frieden eingehen. Auf diesen Veran­staltungen las ich aus Christa Wolfs, „Cassandra“: „Die Lage Europas ist doch heute grundlegend anders als in den dreißiger Jahren, vor dem Überfall Hitlers auf unge­nügend darauf gerüstete Nachbarländer: Aber selbstverständlich hätten sie sich ge­gen diesen Gegner rüsten, sich gegen ihn verteidigen müssen: Da war Verteidigung sinnvoll. Selbstverständlich war Verteidigung gegen den Aggressor sinnvoll in Viet­nam; selbstverständlich ist das Gewehr ein Mittel der Verteidigung und der Befreiung in einer Reihe südamerikanischer Länder, in denen Befreiungsbewegungen kämp­fen. Ich aber bin Europäerin, Europa ist gegen einen Atomkrieg zu verteidigen. Es wird nur als Ganzes überleben oder als Ganzes zugrunde gehen: Die Existenz von Kernwaffen hat alle möglichen Verteidigungsstrategien für unseren kleinen Erdball ad absurdum geführt. (...) Wenn die atomare Gefahr uns an die Grenze der Ver­nichtung gebracht hat, so sollte sie uns doch auch an die grenze des Schweigens, an die Grenze des Duldens, an die Grenze der Zurückhaltung unserer Angst und Besorgnis und unserer wahren Meinungen gebracht haben.“

 

Aus diesen Sätzen müssen politische Haltungen und Handlungen wachsen. Auch möchte ich an die geistige Nähe zur Vancouver-Erklärung des ÖRK erinnern, daß

 

-         „sowohl die Herstellung und Stationierung als auch der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellen“,

 

-         „die Christen erklären müssen, daß sie es ablehnen, sich an einem Konflikt zu beteiligen, bei dem Massenvernichtungswaffen oder andere Waffen, die wahl­los alles zerstören, eingesetzt werden“.

 

Diese Aussagen beschäftigen junge Leute. Wir sollten sie deshalb in unserer Partei noch deutlicher aufnehmen und dabei zugleich aus unserer gesellschaftlichen Er­kenntnis die klare Benennung von Drohendem und Bedrohten, von Befürwortern und Gegnern der Abrüstung hinzufügen.

 

Gleichzeitig spüren wir aber, daß die bisherigen Strategien in ihrer Gültigkeit aus­laufen und neue Wege zu eindeutig defensiven, selbststabilisierenden Rüstungs­strukturen eingeschlagen werden müssen (vgl. Prof. C. F. v. Weizsäcker, Wege in der Gefahr).

 

Wie praktizieren wir als Christen angesichts dieser Situation „intelligente Feindes­liebe?“ Die Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der Sicherheitspartnerschaft (vgl. C. Ordnung, Klarheit und Bündnis, Standpunkt 2/84) sind gewiß gangbare Wege. Solange aber hier keine deutlichen Fortschritte sichtbar sind, müssen wir er­kennen und beachten, daß Jugendliche zwischen dem legitimen Anspruch unseres Staates auf Verteidigungsbereitschaft und den enormen Gefahren einer Frieden­ssicherung mit den uns bekannten Waffen und Strategien hin und her gerissen sind. Individuelle Zeichensetzungen wie zum Beispiel die Entwicklung für den Dienst ohne Waffen oder weitergehende Vorstellungen lösen nach meiner Ansicht nicht das ge­sellschaftliche Problem. Wir wollen sie aber, wo sie ehrlicher Ausdruck einer um Verantwortung für Gottes Schöpfung besorgten Haltung sind, ernstnehmen und auf­nehmen. Zwischen diesen individuellen Zeichensetzungen und unserem bewußten Einordnen in die Friedenspolitik unseres Staates in all ihren Komponenten besteht eine gewissen dialektische Spannung. Sie gilt es, in Gesprächen aufzuarbeiten und fruchtbar zu machen. Es gibt viele gute Beispiele für diese gewiß schwierigen Dis­kussionen, aber in der Breite läßt die Gesprächsführung noch zu wünschen übrig. Das Jahr der Jugend sollte uns noch offener und sensibler für diese Fragen machen.
Anlage 5

 

Diskussionsbeitrag zur Stadtbezirksversammlung

Magdeburg-Südost

am 24. 2. 1983

 

Werte Abgeordnete, werte Gäste,

 

auf der heutigen Sitzung der Stadtbezirksversammlung möchte ich zu Ihnen nicht im Namen unserer Kommission sprechen; denn was ich zu sagen habe, halte ich zwar für richtig, es ist aber nicht mit den anderen mitgliedern unserer Kommission abge­sprochen. Es ist also nicht unbedingt in allen Details unser gemeinsamer Stand­punkt. ich möchte hier nicht meine Einschätzung der politischen Lage darlegen. Da stimme ich mit meinen Vorrednern weitgehend überein. Ich möchte aus meiner Sicht einige Aspekte zum Friedensaufgebot der FDJ vortragen.

 

Das Friedensaufgebot der FDJ ist die derzeit umfassendste Initiative der Jugend der DDR auf den Gebieten der Ökonomie, des geistig-kulturellen Lebens, der sportlichen Betätigung und der Landesverteidigung. Es wird von nahezu allen Jugendlichen mit­getragen, ohne Unterschied von weltanschaulicher oder religiöser Haltung, sozialer oder nationaler Herkunft. Sie ist ein Zeugnis der politisch-moralischen Einheit unse­res Volkes.

 

Lassen Sie mich aus dem Friedensaufgebot einen Aspekt herausgreifen, zu dem ich Sie auffordere, zu versuchen, meinen Gedankengründungen nachzugehen: Es ist die Notwendigkeit des Schutzes unserer Heimat vor äußerer Aggression. Jeder, der sich hiermit beschäftigt weiß, und manche hier wissen das wohl besser als ich, daß große Teile der Jugend dieses Thema aufgreifen und engagiert diskutieren. Es geht den Jugendlichen schon unter die Haut, was da alles an Vernichtungswaffen bereit steht. Sie fragen danach, wie eine gerechte Welt - in unseren Augen ist das der ent­wickelte Sozialismus - erreicht und auch erhalten werden kann. Denkt man weiter, so kommt man zu einer großen Schwierigkeit: Wie kann man heute einen Staat vertei­digen, „wenn es keine Proportionen mehr gibt, zwischen dem verursachten Schaden und den Werten, die man zu schützen sucht“. (Osservatore Romano, 3. 6. 1976, Do­kument an die UNO). Unser Schriftsteller Hermann Kant drückt das so aus:

 

„Ich möchte wissen, was man mit Atomwaffen verteidigen könnte, und zwar so, daß sich die Sache dann gelohnt hätte - Bekommt man mehr Öl, und wozu bitte be­kommt man es dann? Lohnte die Herrschaft über eine Wüstenei den Aufwand? Wie recht behält einer, der sein Leben nicht behält? Angenommen, es gäbe einen Sieger - von welchen Schwierigkeiten befreite ihn sein Sieg? Mit Kernwaffen kann man we­der Kapitalismus noch Sozialismus errichten oder erzwingen, und beide kann man damit auch nicht so verteidigen, daß sich dann noch etwas mit ihnen anfangen ließe.“ (Junge Welt 5. 1. 82)

 

Kein Wunder, daß wir erkennen und beachten müssen, daß es viele Menschen, nicht nur Jugendliche gibt, „die zwischen dem legitimen Anspruch unseres Staates auf Verteidigungsbereitschaft und der Ausweglosigkeit einer Friedenssicherung“, die auf die Stärke der Waffen setzt, „hin- und  hergerissen sind ... für diese Gewissens­not gibt es keine Patentlösungen“. (Hirtenbrief der kath. Bischöfe vom 1. 1. 1983)

 

Man kommt auf diesem Gebiet auch nicht mit Polemik weiter, wie es leider hin und wieder versucht wird. „Die Sehnsucht der Jugend auch unseres Landes nach Frie­den“ und ihren Fragen, die gewiß oft nicht sauber genug formuliert sind, darf auf kei­nen Fall „mit Verdächtigungen“, sondern muß „mit Offenheit und Vertrauen begegnet werden“. (ebenda) Wir setzen sonst die Einheit der Friedensbewegung der DDR aufs Spiel.

 

Ihre Einheit ist ja gerade ihre Stärke. Versuche imperialistischer Kreise, hier gemein­same Grundhaltungen auseinander zudividieren gibt es genug.

 

Wir müssen zur Sicherung des Friedens und der Stärkung der politisch-moralischen Einheit unseres Volkes auf alle ehrlichen Stimmen hören. Kein einziger Gedanke darf hier verloren gehen. Dies gilt auch für die Warnungen an uns.

 

-         Die unvorstellbaren Schrecklichkeiten eines Krieges in Mitteleuropa dürfen nicht von manchen Leuten verharmlost werden. Ich weigere mich, wie viele an­dere auch, anzunehmen, daß ich mit einem feuchten Tuch vor dem Mund und einer Plasttüte über den Kopf gestülpt, mit annehmbarer Sicherheit durch den 3. Weltkrieg kommen.

-         Das Militärische darf in unserem Leben nicht überhand nehmen. Es hat eine nicht zu unterschätzende Eigendynamik.

 

-         Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Erziehung der Jugend zum Den­ken in militärischen Kategorien die Gefahr fördert, gewaltsame Konfliktlösungen gewaltfreien vorzuziehen. Hier kann psychologischer Schaden angerichtet wer­den, der die Friedensfähigkeit nachfolgender Generationen schwächt.

 

Lassen sie mich hier den Schriftsteller Bruno Winzer zitieren - er ist bekannt als der Autor des im Verlag der Nation erschienenen Buches „Soldat in drei Armeen“:

 

„Ich plädiere deshalb für die Abrüstung der Spielzeugindustrie; eine Demontage, die keinen Staat militärisch schwächt - wohl aber moralisch stärken würde.“

 

So ist es z. B. seit dem 1. 12. 1979 in Schweden nicht möglich, Kriegsspielzeug zu kaufen.

 

Genug Beispiele.

 

Wir können, indem wir diese Fragen aufgreifen und ehrliche, tragfähige Lösungen suchen, die politisch-moralische Einheit unseres Volkes stärken. diese Einheit ist eine in ihrem Wesen zutiefst dialektisch zu verstehende Einheit, d. h., notwendiger­weise mit Widersprüchen behaftet. Aus diesen Widersprüchen kann sie ja auch im Sozialismus ihre ungeheure Dynamik und Kraft entwickeln. Die Widersprüche sind ja von der Art, daß sie auf dem Boden des Sozialismus in der DR gelöst werden kön­nen.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit für meinen Beitrag, der wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit notwendig unausgewogen war.