Für faire Arbeitsbedingungen der Schulen in freier Trägerschaft in Sachsen-Anhalt

Als Vorsitzender des Freundeskreises ökumenischer Schulen Magdeburg habe ich einen Brief geschrieben.

An die Damen und Herren Abgeordneten der Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Sachsen-Anhalt

Magdeburg, den 23.10.2017

Sehr geehrte Abgeordnete der regierungstragenden Koalition,

Die Landesregierung hat dem Landtag von Sachsen-Anhalt den Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 7/1992, zur Beratung und Beschlussfassung überwiesen.

Um es gleich deutlich zu sagen: Dieser Gesetzentwurf erfüllt bezüglich der Schulen in freier Trägerschaft nicht die Erwartungen, die im Koalitionsvertrag für die 7. Wahlperiode geweckt wurden.

Viele von Ihnen kennen noch das „einheitliche sozialistische Bildungssystem“ unter der stalinistischen Leitung von Margot Honecker, etliche als Eltern, jetzt Großeltern, viele als Schülerinnen und Schüler. Eine der wichtigsten Forderungen des Jahres 1989 war die der Demokratisierung der Schulen. Diese ist weitgehend gelungen. Eine Demokratisierung der Bildung und Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen ist untrennbar mit einer ausgeprägten Bildungsvielfalt verbunden. Vielfalt heißt unter anderem 

  • Auswahl zwischen verschiedenen Profilen der Einrichtungen
  • Auswahl der Einrichtungen selber
  • Auswahl der Lehrerinnen und Lehrer
  • Also die innere Gestaltungsfreiheit

Diese Vielfalt bedarf natürlich eines ordnenden Rahmens 

  • schon aus Gründen nur beschränkt vorhandener materieller Ressourcen
  • schon aus der Notwendigkeit heraus, dass um der Kinder Willen, zumindest alle allgemeinbildenden Schulen zu staatlich anerkannten Abschlüssen führen müssen.    

Es hat deshalb noch die letzte Volkskammer, die einzige demokratisch gewählte Volkskammer, am 17. Juni 1990 mit dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR und am 20. September 1990 mit der Zustimmung zum Einigungsvertrag die gesetzliche Grundlagen zur Gründung von Schulen in freier Trägerschaft geschaffen. Das Grundgesetz Deutschlands garantiert in Artikel 7 Abs 4 das Recht zur Errichtung von Privatschulen. Dass Land Sachsen-Anhalt schuf mit dem Schulreformgesetz vom 11. Juli 1991 seine eigenen gesetzlichen Grundlagen. (GVBl LSA Nr. 17 1991 S. 165) Eine entsprechende Verordnung auf der Grundlage dieses Gesetzes war die Handlungsgrundlage für die Gründung von Schulen in freier Trägerschaft in Sachsen-Anhalt. 

Auf dieser Grundlage sind die ersten freien Schulen in diesem Lande entstanden. Ich selber war Mitbegründer des heutigen Ökumenischen Domgymnasiums in Magdeburg. Diese Schule war, wie die meisten anderen Schulgründungen auch, eine echte Initiative aus engagierten Eltern, Lehrern und weiteren, interessierten Persönlichkeiten. Selten haben sich Elternwille, pädagogisches Engagement, aber auch Unterstützung aus den neu gewählten demokratischen Vertretungen und den reformierten Verwaltungen so freundlich einander begegnet und sich in ihrem Handeln gegenseitig ergänzt und unterstützt. 

Das erwähnte Schulgesetz ist inzwischen oft überarbeitet worden. Von Anfang an stellte sich die Frage nach einer sicheren und gerechten Finanzierung freier Schulen als fachlich außerordentlich schwierig dar. Grundgesetz und Landesverfassung geben Leitplanken vor, aber damit ist das Kleingedruckte noch längst nicht erarbeitet und beschlossen. Wegen der vielfältigen, sehr unterschiedlichen Bedingungen, unter denen diese Schulen arbeiten, kann es um der Gerechtigkeit willen, keine zig verschiedenen Einzellösungen geben. Man muss mit pauschalen Zuweisungen arbeiten. Diese Pauschalen müssen so berechnet werden, dass Schülerinnen und Schüler, die Schulen in freier Trägerschaft besuchen, gegenüber Schülerinnen und Schülern, die staatliche Schulen besuchen weder bevorteilt noch benachteiligt werden. 

Die praktische Umsetzung dieses offensichtlich vernünftigen Grundsatzes hat im Landtag von Sachsen-Anhalt und zwischen den Vertretern der freien Schulen und der Landesregierung zu einem jahrelangen, ja inzwischen jahrzehntelangem, Streit geführt. 

Seit der Novelle des Schulgesetzes vom 27. August 1996 (Viertes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. August 1996) muss die Landesregierung zunächst zweimal, dann nur noch einmal in der Wahlperiode einen Bericht nach §18g Schulgesetz vorlegen. Die Landesregierung sah sich jedoch anfangs nicht in der Lage, diesen Bericht zu liefern. (Siehe z.B. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zur Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt in der Drs. 3/5057 vom 9. Oktober 2001) Bisher hat die Landesregierung drei Berichte gemäß § 18g des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (SchulG LSA) vorgelegt. (Drs. 4/1271 vom 22.12.2003, Drs. 5/3025 vom 20.12.2010, Drs. 6/3470 vom 18.09.2014) Der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft kam z.B. am 18.02.2015 zu dem Ergebnis: „Der Ausschuss nahm die Berichterstattung der  Landesregierung entgegen und führte eine Beratung durch. Die Unterrichtung wurde zur Kenntnis genommen und der Selbstbefassungsantrag für erledigt erklärt.“ 

Nach meiner Erinnerung ist kein einziger dieser Berichte gebilligt oder gar befürwortet worden. Alle Berichte wurden nur zur Kenntnis genommen. Dieses ist eine freundliche          [2] Formulierung für die Tatsache, dass die Abgeordneten gesagt haben: „Wir haben den Bericht gelesen und als so wertvoll bewertet, dass wir ihn im Papierkorb abgelegt haben.“

Dieses unwürdige Spiel musste und muss beendet werden. Dieses war auch Wille der in der vergangenen Wahlperiode regierungstragenden Fraktionen von CDU und SPD. Der damalige Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion und jetzige Minister für Finanzen, Herr André Schröder, hat auf einer Podiumsdiskussion des VDP am 19. November 2015 im Magdeburger Maritim-Hotel sich klar zu einer solchen beabsichtigten Änderung des Schulgesetzes bekannt. Diese Forderung ist in das CDU-Programm zur Landtagswahl 2016 aufgenommen worden, und diese Forderung findet sich im Beschluss des Koalitionsvertrages von CDU, SPD und Bündnis90/Die Grünen wieder. Dort heißt es wörtlich im Kapitel „Bildung und Kultur“ auf Seite 76: „Schulen in freier Trägerschaft leisten einen Beitrag zur Vielfalt der Schullandschaft. Sie sind ein fester Bestandteil unserer Bildungslandschaft. Wir werden ihre verlässliche Finanzierung auch weiterhin gewährleisten. Der Bericht zu den Schülerkostensätzen nach § 18g Schulgesetz soll zu Beginn der Legislatur vom Landtag an unabhängige Dritte in Auftrag gegeben werden. Der Bericht dazu soll ergänzend einen Ländervergleich der Schülerkostensätze und weiterer Zuschüsse mit allen Bundesländern enthalten.“ 

Nun will keiner mehr etwas davon wissen. Ich kann mich an einen solchen Vorgang in meiner 26-jährigen Zugehörigkeit zum Landtag von Sachsen-Anhalt nicht erinnern. 

Deshalb appelliere ich an die Abgeordneten dieses Landtages: Lassen Sie sich nicht an der Nase herumführen, dass es angeblich gesetzestechnische Schwierigkeiten gäbe, diese Forderung der Koalitionsvereinbarung umzusetzen. Es wird inzwischen eine Frage Ihrer Ehre, ob es Ihnen gelingen wird, die Landesregierung und eine offensichtlich in Teilen retardierende Verwaltung zu zwingen, eine gesetzliche Grundlage für eine möglichst objektive Ermittlung der angemessenen staatlichen Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft zu akzeptieren. Gelingt Ihnen dieses nicht, möchte bitte keiner mit Krokodilstränen in den Augen vor die Schulen in freier Trägerschaft treten und sagen, dass er persönlich für die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung gewesen sei, er sich aber leider nur nicht habe durchsetzen können. 

So schwer ist diese Gesetzesänderung nicht. Wenn sich die Regierungsfraktionen als Ganze nicht aufraffen können, reichen acht Abgeordnete aus den Koalitionsfraktionen aus, einen entsprechenden Gruppenantrag in das Plenum einzubringen. Damit verletzen Sie keinen Koalitionsvertrag und keine Geschäftsordnung. Damit nehmen Sie nur Ihr frei gewähltes Mandat wahr. 

Und glauben Sie mir: Wenn dieser Antrag erst einmal ins Plenum eingebracht ist, werden viele nicht die letzten sein wollen, die diesem Antrag zugestimmt haben. 

Und wenn Sie dann schon einmal bei der Arbeit sind, dann sollten Sie sich auch einigen weiteren strukturellen Schwächen der vorgelegten Novelle zuwenden. 

Bei der Erteilung von Unterrichtsgenehmigungen für Lehrerinnen und Lehrern an freien Schulen dürfen keine unnötig restriktiven Bedingungen gesetzt werden, die für den Einsatz an staatlichen Schulen auch nicht verlangt werden.

Die Ausbildung von Referendaren muss auch weiterhin an den freien Schulen im notwendigen Umfang möglich, gewollt und auch tatsächlich gesichert sein. 

Wir, die wir für den Bestand und die Entwicklung von Schulen in freier Trägerschaft in diesem Land eintreten wissen, dass ca. 91% der Schülerinnen und Schüler in diesem Land staatliche Schulen besuchen und wohl auch in einer ähnlichen Größenordnung zukünftig besuchen werden. 

Freie Schulen können nur gut funktionieren, wenn das staatliche Schulwesen gut funktioniert. 

Aber der Elternwille zur Wahrnehmung des Ersterziehungsrechtes ihrer Kinder setzt Motivation und Engagement frei, der zur Innovation in den freien Schulen führt. Schon so manche gute Idee, die in freien Schulen ausprobiert wurde, ist später von staatlichen Schulen übernommen worden und hat so allen Kindern gedient. 

Ein gesunder Wettbewerb ist das Erfolgsgeheimnis unserer Sozial- und Wirtschaftsordnung. Dieser gesunde Wettbewerb erfordert aber auch Chancengleichheit, Chancengleichheit in der Finanzierung und Chancengleichheit in der Organisationsfreiheit. Darum geht es unter anderem in der Beratung dieser Gesetzesnovelle. 

Wenn dieses Ziel erreicht werden kann, haben alle Schülerinnen und Schüler in diesem Lande etwas davon, egal, ob sie eine staatliche Schule oder eine Schule in freier Trägerschaft besuchen. 

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Scharf

Vorsitzender

Hier der Brief als PDF-Datei