Sehr geehrte Abiturientinnen und Abiturienten,
sehr geehrte Eltern, Großeltern, Geschwister und Angehörige,
sehr geehrte Lehrer und Mitarbeiter des Ökumenischen Domgymnasiums und der Domgrundschule, sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Abiturienten, Sie gehen heute einen großen Schritt in die Weite des Ihnen bevorstehenden Lebens hinein. Sie haben in wenigen Minuten mit der Aushändigung Ihres Abiturzeugnisses Ihren ersten wichtigen Abschluss erreicht, der Ihnen weitere Türen öffnen kann. Darüber werden Sie sich selber am allermeisten freuen, darüber werden Sie auch erleichtert sein. Darüber freuen sich aber auch alle hier im Dom versammelten Menschen, und ich darf Ihnen hierzu im Namen des Trägervereines dieser Schule, des Kuratoriums, und auch des Fördervereines ganz herzlich gratulieren.
Es ist der erste Abschluss in Ihrem Leben. Auf ihm werden sie aufbauen und später in einem Beruf einsteigen. Vielleicht sind Sie schon entschieden, welche Richtung Sie einschlagen werden, vielleicht haben Sie sich auch entschlossen, für die Suche noch etwas Zeit zu lassen. Dieses ist heute alles möglich. Nur eines wünschen wir Ihnen vom Kuratorium und vom Freundeskreis: Dass dieser Abschluss ein guter Türöffner für weitere Ausbildungen sein wird.
Dieser Wunsch ist nicht selbstverständlich. Sie haben hoffentlich vorwiegend gute Erinnerungen an Ihre Zeit im ÖDG, nur gute Erinnerungen geht nicht.
Sie haben eine Schule besucht, die es gar nicht geben muss. Es gibt eine Schulpflicht. Und deshalb muss der Staat Schulen vorhalten. Er muss aber kein Ökumenisches Domgymnasium vorhalten. Ja, im jetzigen Schulgebäude war zu DDR-Zeiten die Polytechnischen Oberschule „Juri Gagarin“ mit erweitertem Russischunterricht untergebracht.
Nach der friedlichen Revolution gab es Bestrebungen, diese Schule in Domgymnasium umzubenennen, weil sie Nahe am Dom liegt und schon einmal so hieß . Genauer: Vereinigtes Dom- und Klostergymnasium Magdeburg. Der Magdeburger Stadtrat war Anfang der 190iger Jahre aber so klug, mit der Namensvergabe so lange zu warten, bis sich unter den Bewerbern für diesen Namen der geeignetste herausgeschält hatte.
Da sind wir schon wieder bei der Frage, was ist eigentlich eine gute Schule? Was zeichnet gute Schule aus? Ist es ein schönes Gebäude in guter Lage mit guter materieller Ausstattung? Dazu fachlich gute und persönlich engagierte, strenge und zugleich verständnisvolle Lehrerinnen und Lehrer? Ist es die Nähe zu einem Dom? Ist es der Geist, der in der Schule herrscht? Ist es das Schulklima in der Mehrdeutigkeit dieses Wortes? Sind es die Freundschaften, die man an dieser Schule finden kann und die vielleicht ein Leben lang halten können?
Es ist wohl von jedem des Aufgezählten etwas.
Ich möchte an dieser Stelle wiederholt daran erinnern, dass es dieses ÖDG nur gibt, weil es 1989/90 genügend engagierte Eltern, Lehrer und darüber hinaus interessierte Bürgerinnen und Bürger gab, die wollten, dass Kinder dieser Stadt und aus ihrem Umkreis gute Schule erfahren dürfen. Und das Besondere war und ist, dass diese Schule sich der Ökumene der christlichen Kirchen verpflichtet fühlen solle. Dieses ist das Fundament des Handelns des Trägervereines und des Freundeskreises bis heute, und so soll es auch zukünftig bleiben.
Übrigens händigen wir deshalb auch die Abiturzeugnisse in diesem Dom aus und nicht, weil es hier heute so angenehm kühl ist.
Ich dachte früher, dass es relativ leicht eine Einigung darüber geben könne, was gute Schule ausmache und was man können müsse, wenn man eine solche Schule erfolgreich absolviere. Da hatte ich mich aber gründlich getäuscht. Es ist heute ziemlich schwer, einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu finden, was man eigentlich können solle, wenn man die Schule verlässt. Wie viel Faktenwissen ist nötig, um welche Methoden hinreichend sicher anwenden zu können? Welche Sprachen sollte man auf welchem Niveau beherrschen? In welchem Verhältnis stehen die künstlerischen und musischen Fächer zu den naturwissenschaftlichen Fächern? Wie sieht es mit den wertebildenden Fächern aus? Wie steht es mit dem Religionsunterricht? Jede Generation muss anscheinend diese Fragen für sich neu stellen und neu beantworten.
Und dann werden Sie in ein paar Jahren auf Ihren Klassentreffen merken, dass nicht automatisch die Klassenbesten ihr Leben am besten meistern konnten. Gute fachliche Leistungen sind meist eine gute Grundlage für gutes berufliches Fortkommen. Aber ohne – ich wähle jetzt bewusst einen altertümlich klingenden Begriff – ohne Herzensbildung geht es auch nicht. Heute nennen wir dieses gerne Sozialkompetenz. Aber schon der alte Begriff zeigt uns, dass christlich verantwortete Schule ohne Wertebindung und Wertebildung unmöglich ist. Ja, der Bestand unserer Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass diese Herzensbildung immer wieder in jeder Generation gelingt.
Sie gehen in eine unruhige Welt. Anfang der 1990iger Jahre fand die These des US-amerikanischen Politikwissenschaftler Francis Fukuyama vom Ende der Geschichte weiten, zustimmenden Widerhall. Nach den friedlichen Revolutionen in Europa, konnte es eigentlich nur noch auf eine friedliche Welt zugehen.
Leider haben sich da die meisten, auch ich, geirrt. Friede, Freiheit und Wohlstand müssen anscheinend in jeder Generation neu gesichert oder sogar neu errungen werden.
Es bedarf also für eine gute Schulausbildung mehr als Lesen, Schreiben und Rechnen auf gutem oder sogar hohem Niveau. Die Bindung an Werte, die unsere Gesellschaft gut und gerecht zusammenhält, gehört unverzichtbar dazu. Deshalb haben wir das Ökumenische Domgymnasium und später auch die Domgrundschule gegründet. Vielleicht kommt später auch noch einmal eine Sekundarschule dazu.
Deshalb sind gute Schulen, in staatlicher und in freier Trägerschaft weiterhin ein Schlüssel zu Freiheit, Frieden und Wohlstand.
Dafür wollen sich Trägerverein und Freundeskreis auch weiterhin einsetzen.
Aber Sie, liebe Abiturienten haben heute erst einmal einen ganz wichtigen Abschluss in Ihrem Leben erreicht.
Dazu gratulieren Ihnen der Trägerverein und der Freundeskreis ganz herzlich.
Jürgen Scharf
Es gilt das gesprochene Wort.